Chris   Mennel
KUNST

Nomade
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 Warum Nomade

Nomadenkunst ist das Gegenteil von Nischenkunst. Nischen einzunehmen gilt als „professionell": „Nur so hast du eine Chance am Markt". Nach meinem Eindruck vertrocknen aber neunhundertneunundneunzig Promille der Künstler in ihrer Nische: Es kauft sie eigentlich niemand so richtig. Gequält schleppen sie sich durch Ausstellungsversuche.

Nomadenkunst befindet sich im „Wanderjahr". Dem Gesellen, dem Amateur, dem etwas Naiven ist sie schon nah, das ist wahr. 

Ich belege mit diesem Begriff in meinem Fall meine künstlerische Produktion aber erst in einer Phase, in der ich erkenne, dass ich als Nomade einen ganzen Bogen gelaufen bin und nie mehr in einer Nische zu sitzen komme. Fern vom Jünger und Lehrling - dem brav seine Nische zu suchen geraten wird - erspähe ich mich als erwachsenen, wetterfähigen Kunstnomaden.

Chris sammelt Material für den Film "Die Höllen des zweiten Bildungsweges"

Nomadenkünstler in meinen Sinne ist, wer in konkreten Ergebnissen in mehreren Bereichen glänzt. Bei mir geschah dies nicht durch Absicht - „Ich mache jetzt Lehr- und Wanderjahre" - sondern durch Ausschlagen: „Ich mache nicht, was ihr vorschlagt". Bei mir wächst Nomadenkunst durch Respekt und Vergnügen am eigenen Potential. „Fünf Gründe, Kunst zu machen" habe ich entwickelt: Weiterspielen im Gestus der Kindheit - Therapie vorantreiben in einer instinktiven Weise, der Therapeuten nicht gewachsen sind - erotische Partner anlocken und vernaschen - den fremden, von außen herangetragenen Religionen eine subjektive Religionskonstruktion entgegenbauen - und ja, dann, vielleicht, latent: Um Geld mit Kunst zu verdienen.

In meiner bisherigen Bilanz, 2011, sehe ich bei meiner Kunstproduktion fünf Prozent Poltisches, fünfzehn Prozent kümmern sich um Erotisches. Diese zwei Bereiche dürfen sich ausweiten. Meine überwiegende Produktion wächst aus Training, Dialog und Spiel. Training und Spiel dürfen sich beruhigen.

Der innere Antrieb des Nomadenkünstlers schweift, lässt sich vom Zeittrend schubsen, aber nicht binden, blickt gegen den Strom auch zurück, betreibt geschmacksbezogenen Eklektizismus statt kopfgesteuerter Selektion, ist skeptisch gegen väterliche Tipps und mütterliche Ratschläge. Dieser innere Antrieb bezieht sich direkt auf das eigene künstlerische Ego und nicht auf indirekte Überlegungen wie z.B. „Was darf ich gut finden?" „Wo könnte meine Kunst Applaus erhalten?" Er kultiviert die Kunst, bei seiner eigenen Entscheidung und durchaus auch deren Wanderung zu bleiben in einem Umfeld aus angeblich Vorausentschiedenem. Der Antrieb des Nomadenkünstlers ist in kontrollierter Weise pubertär.

Nomadenkunst tritt ohne Gitter in Dialoge. „Gitter" sind Gedanken wie „Passt das zu meinem schon vorhandenen Angebot?", „Ist das etwas, das sich anderswo schon bewährt hat, von dem geredet wird, das fremdes Lob erhielt?". Stattdessen zählt der innere Beifall, den man einem Angebot zollt, zählt Neugier, die geweckt ist: Und los geht der Dialog als Künstler zum als Kunstwert erachteten Produkt, zum künstlerisch interessierenden Menschen. Bei mir zum Beispiel gibt es so allgemeine Neigungen wie „Eher das Pralle als das Karge"; „Ein Kunstwerk muss aus sich heraus wirken und selbsterklärend sein können"; „Plumpes und Kitschiges ist oft klüger als Intellektualistisches" und die von Bekannten schon vergnügt zitierte, von mir aufgeworfene Behauptung „Kunst muss politisch sein oder erotisch, alles andere bleibt belanglos".

Nomadenkunst hat ein von der Nischenkunst verschiedenes Verkaufsproblem: Nomadenkunst hat mehr Chancen, aber keine großen. Nischenkunst setzt auf die eine Chance und verdorrt zumeist. Nomadenkunst und Nischenkunst muten an wie Urwald contra Plantage.

Die hier von mir polarisierten Begriffe „Nomade" und „Nischenbewohner" sagen nichts Direktes über den Kunstinhalt. Sie formen aber eine Vorauserwartung: Das, was ich frontal oder nebenbei zufällig von dir an Kunst sehe, sagt nur einen Teil über dein Ganzes aus - beziehungsweise bei Nischenkünstlern: Auch Fragmente von dir berichten über dein Ganzes.

Der Nischenkünstler ist präsentierbar und verfolgbar. Er ist der angebliche Star und der heimliche Depp der Galeristen, der Journalisten und der Professoren.

Als Nomadenkünstler bin ich Herr meines Wanderweges geblieben, niemandes Star oder Depp. Eine Handvoll Lagerstätten habe ich selbst gegründet: Meine „Museen". An einem Dutzend Standorten war ich zu Gast und habe mitgewirkt.

Historisch gab es stets Nomadenkünstler, und ich staunte, als ich die deutsche Domain für diesen Begriff 2011 reservieren konnte: Der ewig zitierte Leonardo da Vinci verschaffte sich schon zeitlebens Anerkennung, und Künstler der Moderne von Bauhaus bis Dada mischten sich in vieles ein. Bei Charlie Chaplin mache ich darauf aufmerksam, dass er auch die ganze Filmmusik seiner Filme komponiert hat. Picasso hat ein originelles Bühnenstück geschrieben. Bei Dennis Hopper verschob sich die öffentliche Wahrnehmung noch zu Lebzeiten vom Schauspieler auf seine Fotos. Marilyn Manson und Who-Bassist John Entwistle zeichnen.